Kritik an Leiharbeit-Reform

Andrea Nahles gehört sicher zu den umtriebigsten Ministerinnen in der Bundesregierung. Aus ihrem Haus stammen das Mindestlohn-Gesetz, die Mütterrente, die Rente mit 63 – und nun will Nahles auch die Leiharbeit neu regeln. Der Gesetzesentwurf liegt vor. In Sachsen blickt man besonders aufmerksam darauf, denn in der hiesigen Autoindustrie sind tausende Leiharbeiter beschäftigt. Wir haben mit Wirtschaftsvertretern und Gewerkschaftern über die Reformpläne gesprochen.

Christian Graupner hat sich manchmal wie ein Arbeiter zweiter Klasse gefühlt. Seit mehr als zwölf Jahren ist er Leiharbeiter in Leipzig. Allein zehn davon war er an ein und denselben Auto-Zulieferer verliehen – ohne das Angebot auf Übernahme in die Stammbelegschaft zu erhalten. „Man hört ja immer, dass Leute übernommen werden. Die Möglichkeit besteht also“, sagt er. „Da habe ich mir gedacht: Okay, ich beiße erstmal in den sauren Apfel und versuche dann eben nach ein bis zwei Jahren, wenn man sich bewährt hat, eine Festanstellung zu bekommen.“

„Sinn von Zeitarbeit ist Flexibilität“
Weil das mit der Übernahme bei vielen Leiharbeitern aber nicht klappt, will Arbeitsministerin Nahles Leiharbeit und Werkverträge neu regeln. Nach ihrem Entwurf darf ein Leiharbeiter nur noch 18 Monate an denselben Betrieb verliehen werden. Schon nach neun Monaten soll er so bezahlt werden wie die Stammbelegschaft. Doch die Wirtschaft sieht die Reform kritisch, sagt Leipzigs IHK-Präsident Wolfgang Topf: „Zeitarbeit ist ein wesentliches Merkmal zur Flexibilisierung der Wirtschaft in Abhängigkeit zur jeweiligen Auftragslage. Es gibt ja bei uns schon lange befristete Arbeitsverträge für zwei Jahre. Und ich denke, wenn man schon überhaupt über eine Frist nachdenkt, dann sollte man dort bei den zwei Jahren bleiben und nicht bei den 18 Monaten.“

Gewerkschafter spricht von „Wanderzirkus“
Doch was der Wirtschaft zu weit geht, ist der IG Metall zu wenig. Hein Volkmer ist Gewerkschaftssekretär in Leipzig und sagt: „Nach den 18 Monaten hat der Arbeitnehmer einen Übernahmeanspruch. Das heißt aber, er muss dies auch, wenn die Übernahme nicht erfolgt, juristisch durchklagen.“ Noch mehr stört Volkmer, dass sich der Betrieb nach den 18 Monaten einen neuen Leiharbeiter holen kann: „Ich kritisiere nach wie vor, dass dieser Wanderzirkus noch immer stattfinden kann und dass nach wie vor in den Betrieben eine Mehrklassengesellschaft vorhanden sein wird.“

Strengere Regeln für Werkverträge
Die Mehrklassengesellschaft entsteht Volkmers Meinung nach auch durch den Missbrauch von Werkverträgen. Mit ihnen können Firmen Aufgaben auf ihrem Gelände an fremde Firmen oder auch Einzelpersonen vergeben – zum Beispiel für den Transport von Gütern, die Gebäudereinigung, aber auch die Produktion einzelner Teile. In Zukunft sollen Betriebsräte bei der Vergabe mehr Mitspracherechte erhalten. Ein Kriterienkatalog soll klären, wann ein Werkvertrag missbräuchlich ist und die Beschäftigten eigentlich wie die Stammbelegschaft entlohnt werden müssten. IHK-Präsident Topf findet das unnötig: „Der IT-Mitarbeiter, der in seinem Unternehmen beschäftigt ist, jetzt aber in das andere Unternehmen kommt, wo er die Dienstleistung vollbringt, dort an den Geräten ist, die Software einspielt und so weiter: Was hat der denn mit den Tarifen des betreffenden Betriebes zu tun? Wer denkt sich denn sowas aus? Ich kann das nicht nachvollziehen.“

Reform kommt erst 2017
Weil die Materie kompliziert ist, werden alle Seiten nun noch einmal reden. Das Ministerium hat Kammern und Gewerkschaften zum Gespräch gebeten. Der überarbeitete Reformentwurf wird im Frühjahr vorliegen. In Kraft tritt die Reform voraussichtlich erst 2017.

Veröffentlicht in www.mdr.de 

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